Hoffnung für Klima, Artenvielfalt und Medizin der Zukunft

    Argentinische Wälder

    Die Wasserfälle des Iguazú sind weltbekannt. Sie liegen in einem Nationalpark, der die grösste zusammenhängende Fläche des verbleibenden Atlantikurwaldes umfasst. Die Erhaltung der Wälder und die Wiederbewaldung verlorener Gebiete könnten einen wichtigen Beitrag zur klimatischen Stabilisierung leisten, indem sie grosse Mengen von Kohlenstoff binden. Die einheimischen Mbyá-Guaraní verstehen sich nicht als «Krone der Schöpfung», sondern als gleichberechtigte Wesen unter Pflanzen und Tieren. Sie haben einen ganz anderen Zugang zur Natur als wir und können uns auf vielerlei Weise helfen, die Zukunft zu meistern.

    (Bilder: zVg) Der Totalverlust ausländischer Touristen durch die Pandemie trifft Misiones hart (Aufnahme von 2009)

    Die weisse Bevölkerung der Provinz Misiones, darunter ca. 3’000 Schweizstämmige, ist stark betroffen von Covid19. Die Infektions- und Sterblichkeitsraten waren lange Zeit sehr hoch. Die Mbyá haben ebenso Kontakt mit dem Virus wie die weisse Bevölkerung, doch sie haben selten Symptome und ihre Sterblichkeit ist viel geringer: «In meiner Gemeinde Ruíz de Montoya leben 4300 Menschen, 900 sind schweizstämmig, ca. 950 sind Mbyá», erklärt Dr. med. Mariana Mampaey, die jahrelang in enger Zusammenarbeit mit den kundigen Medizinfrauen und -männern der Mbyá für Gesundheit und Ernährung der Mbyá kämpfte und weiterkämpft. «Wir haben hier ca. 80 positiv getestete Personen mit Symptomen und 3 Tote in der weissen Bevölkerung zu beklagen.»

    Mariana Mampaey mit einer in einem Vogelschutzgebiet von einem Holzfäller gewilderten Yacutinga (Pipile jacutinga). Die Art ist vom Aussterben bedroht!

    «Wir können staunend lernen»
    «Von den Mbyá wurde niemand positiv getestet und es gibt kaum Tote. Offiziell gab es in der ganzen Provinz nur zwei Todesfälle alter Menschen unter den Mbyá.» Mag sein, dass einzelne Fälle nicht als solche erkannt wurden, aber der Unterschied sei zu gross, als dass man die geringe Todesrate alleine damit erklären könnte. Den Grund sieht die Ärztin in der traditionellen Phytomedizin der Mbyá, die auf der extrem hohen Biodiversität im Atlantikurwald basiert. «Bei den Mbyá ist für und gegen alles ein Kraut gewachsen oder eine Rinde oder ein Blatt», sagt Dr. Mampaey mit Bewunderung. Auch Wildbienenhonig und das Fett von Wildtieren spiele in der Mbyá-Medizin eine Rolle. «Es gibt wenige Dinge, wie Knochenbrüche, in denen die Schulmedizin wirklich überlegen ist, meistens können wir aber staunend lernen.» Dr. Mampaey wusste, dass die Mbyá gegen Husten, Fieber, Hautausschläge, Augenentzündungen usw. Mittel haben. Ja sogar Verhütungs- und Potenzmittel liefert die Artenvielfalt des Waldes. «Aber wie die Mbyá Medizinfachleute so schnell aus den tausenden von Pflanzenarten die richtige Mischung von sogenannten Sekundärstoffen gegen Covid19 fanden, ist auch für mich eine Überraschung. Es muss mit dem innigen täglichen Austausch der Mbyá mit allen Kreaturen des Waldes zusammenhängen.»

    Nachhaltige Nutzung?
    Die Mbyá kennen nicht nur die Pflanzen und Tiere und ihre Bedeutung für den Wald. Sie wissen auch, welche Arten welche Nutzung ertragen beziehungsweise wie sie gefördert werden können. Arten, die sich langsam vermehren, werden nicht oder nur im Notfall genutzt, wenn es ums Überleben geht. Raubbau ist aufgrund ihrer Weltanschauung ausgeschlossen. Die Provinz bemüht sich insbesondere, den «Corredor verde», den grünen Korridor, zu schonen und erteilt Schlagbewilligungen zurückhaltend. Doch selbst im Kern des «Corredor verde», in einem Vogelschutzgebiet, dessen Eigentümer sicher nicht beabsichtigt, Flora und Fauna zu schädigen, deren Schutz ihm die Berechtigung zur angeblich nachhaltigen Nutzung des Waldes gibt, werden geschützte, vom Aussterben bedrohte Vogelarten von ahnungslosen Angestellten und Wilderern gnadenlos bejagt. Für die Mbyá ist die – auch noch so «nachhaltige» Fällung der zum Teil uralten Bäume und die Jagd von Tieren um der Jagd willen Mord an Mitlebewesen. Bäume helfen, unsere Erde – das grosse Haus, in dem wir alle leben – zu erhalten. Dies bedeutet keineswegs, dass die Mbyá nicht töten, aber sie nutzen Pflanzen und Tiere nach den Vorgaben der überlieferten Traditionen, die fein justiert darauf bedacht sind, die Artenvielfalt zum vielfältigen Nutzen der Menschen zu erhalten.

    Der Klimaminister von Misiones (rechts neben Johannes Jenny)

    Gemeinsames Eigentum
    Die Mbyá kennen ursprünglich kein Eigentum, und der Besitz von Wald, Erde, Boden war für sie ebenso absurd wie für uns Weisse der Besitz von Luft, Sonnenschein oder Regen. Doch die Indigenen Argentiniens haben einen genialen Verfassungsartikel erstritten, der anerkennt, dass sie vor dem argentinischen Staat und vor der Einwanderung der weissen Bevölkerung bereits hier waren. Er ermöglicht den Gemeinschaften, gemeinsames Eigentum zu besitzen. Dies entspricht am ehesten der Kosmovision der Mbyá Guaraní. Die Gemeinschaften dürfen Wald erwerben, besitzen, nach ihren Traditionen nutzen, aber nicht verkaufen und nicht roden (was sie aufgrund ihrer Weltanschauung ohne- hin nie tun würden). Dafür müssen sie keine Steuern bezahlen. Das ist wichtig, weil sie ja kaum Einkommen haben. 15 der über 200 Gemeinschaften haben vom Staat oder durch Kauf vom Verein Sagittaria etwas von den riesigen Waldgebieten zurückbekommen, die ihnen ja einst gehörten. Derzeit sind mehrere tausend Hektaren im Verkauf. Sie könnten erworben und den Indigenen zurückgegeben werden, wäre denn das Geld dazu vorhanden. Damit könnte ein wesentlicher Teil der erhaltenen 7% der ursprünglichen Fläche zurückgegeben werden.

    Kohlenstoffspeicher Atlantikurwald
    In den Wäldern der argentinischen Provinz Missiones stecken Millionen von Tonnen Kohlenstoff, doch niemand weiss wieviel genau. Nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes könnte die Schweiz sich diesen riesigen Kohlenstoffspeicher und die rasche CO2-Bindung im subtropischen Wald zur CO2-Kompensation zu Nutze machen. Würden alle, die etwas gegen den Klimawandel unternehmen möchten, 100 Quadratmeter für 15 Franken oder gar 1’000 Quadratmeter für 150 Franken kaufen, wäre der Wald rasch gerettet. Denn, wenn Weisse die Eigentümer des Waldes sind, müssen sie für ihren Besitz Steuern zahlen und sind dadurch gezwungen, einen Profit zu erwirtschaften. Also roden sie den Wald, um etwas zu produzieren, sie lassen die wertvolleren Bäume fällen und verkaufen diese, bis es keine mehr hat. Einige sehen das Problem und würden gerne mithelfen, aber ihr Grundeigentum verschenken können und wollen sie natürlich auch nicht.

    Minister gegen Klimawandel
    Patricio Lombardi ist stolz, das erste «Ministerio de Cambio Climatico» Lateinamerikas zu leiten und er möchte etwas bewirken. Doch aller Anfang ist schwer, und die Situation ist kompliziert. Auf der einen Seite muss das Klima geschützt werden, auf der anderen ist dies nicht nur die Aufgabe einer relativ armen argentinischen Provinz, sondern der Menschheit. Ohne Quantifizierung der Kohlenstoffmenge, die hier gebunden ist bzw. gebunden werden könnte, wird niemand investieren. Zudem ist der Klimaminister unter Erfolgsdruck. In den 1 1⁄2 Jahren der Existenz des Ministeriums sei noch nicht allzu viel erreicht, liess der Gouverneur an einer Besprechung diplomatisch formuliert durchblicken. Ende August reist Lombardi nach Europa und möchte auch die Schweiz besuchen. Hoffen wir, dass er kluge Köpfe und offene Türen findet!

    Johannes Jenny


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