Versorgungssicherheit hat oberste Priorität

    Eine sichere Versorgung mit Strom und Energie ist den Schweizerinnen und Schweizern wichtiger als eine klimaneutrale Produktion. Dies geht aus einer neuen Umfrage hervor. Diese bietet auch sonst interessante Einsichten, die sich die Politiker zu Herzen nehmen sollten.

    (Grafiken: © gfs.bern, Versorgungssicherheit, April 2022 (N=1016))
    Safety first: Die Grafik zeigt, welcher Aspekt der Schweizer Stromproduktion den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern am wichtigsten ist.

    Das Institut gfs Bern hat die Umfrage im April bei über 1000 Personen durchgeführt. Die Resultate sind zum Teil verblüffend und können eine Inspiration für die Politik sein. Zuvorderst fällt auf, dass der Bevölkerung der Ernst der Lage bewusst ist. Das Wort «Versorgungssicherheit» war bis vor Kurzem wohl nur Fachleuten geläufig. Heute dominiert es die politische Debatte. Die staatliche Elektrizitätskommission (ElCom) hat soeben ihre zuvor schon drastischen Warnungen verschärft. Sie geht neuerdings davon aus, dass wir nicht erst in ein paar Jahren, sondern schon im nächsten Winter zu wenig Strom haben könnten. Mit anderen Worten: Die Lichter könnten ausgehen, die Heizungen kalt bleiben und die Maschinen stillstehen. 

    Dieses Szenario war noch vor wenigen Jahren undenkbar. Und heute? Gemäss der gfs-Umfrage ist die Botschaft bei der Bevölkerung angekommen. Eine absolute Mehrheit von 53 Prozent sieht die Versorgungssicherheit als die wichtigste Aufgabe der Schweizer Energiepolitik. Bei den Jungen sind es sogar 66 Prozent. Weit dahinter finden 25 Prozent, eine klimaneutrale Produktion sollte an oberster Stelle stehen – dicht gefolgt vom Preis. Dass die Energie bezahlbar sein muss, stufen 21 Prozent der Befragten als prioritär ein. 

    Eine deutliche absolute Mehrheit der Umfrageteilnehmer beurteilt die Lage als derart ernst, dass sie der Meinung ist, eine Weiterführung der aktuellen Politik würde zu Stromausfällen in der Schweiz führen.

    Volk will keine Technologieverbote  
    Diese Ergebnisse stehen in auffälligem Gegensatz zum Kurs des Bundesrats. Mit der Energiestrategie 2050 ordnet er die gesamte Energiepolitik der Klimafrage unter. Die Versorgungssicherheit ist dabei aus dem Fokus geraten – darum die Notrufe der ElCom und anderer Fachgremien. Die Elektrifizierung der Mobilität, des Heizens und anderer Bereiche schrauben den Stromkonsum in die Höhe. Gleichzeitig soll die Schweiz aus der klimafreundlichen Kernenergie aussteigen – was zu einem substanziellen Defizit bei der Stromproduktion führt. Bisher ist nicht absehbar, dass diese Lücke durch die erneuerbaren Energien geschlossen werden könnte. 

    Vor diesem Hintergrund sticht ein weiterer interessanter Befund der Umfrage ins Auge. Rund 60 Prozent der Befragten finden, ein generelles Verbot der Kernenergie würde den künftigen Handlungsspielraum unnötig einschränken. Ein Technologieverbot stösst demnach auf Ablehnung. Die Schweizerinnen und Schweizer wollen eine umweltverträgliche Energieproduktion, bei der die Erneuerbaren eine wichtige Rolle spielen – aber sie wollen keine Verbotspolitik mit ideologischen Scheuklappen. Das Volk schätzt die Sachlage realistisch ein und macht sich keine Illusionen. Eine starke Mehrheit von 69 Prozent ist der Ansicht, dass die erneuerbaren Energien nicht ausreichen, um den Bedarf der Schweiz zu decken. Es braucht also einen Mix und Anstrengungen an allen Fronten, um die drohende Strommangellage abzuwenden. 

    Preise dürfen nicht steigen 
    Auch die Preissensibilität spielt eine Rolle: Eine knappe absolute Mehrheit der Befragten ist der Ansicht, dass die Unternehmen nicht weiter belastet werden sollten. Die in den letzten Wochen stark gestiegenen Preise für Treibstoffe belasten Firmen und Private zusätzlich. Dass der Preis ein zentraler Faktor ist, zeigt auch der folgende Befund: 74 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten sind eher oder sehr damit einverstanden, dass der Aufbau nachhaltiger Energieproduktion den Strom in der Schweiz nicht massiv verteuern darf. Dass wir uns Stromausfälle nicht leisten können, auch wenn dies auf Kosten der Klima- und Energieziele geschieht, ist ebenfalls für über zwei Drittel klar. 

    Über die Umwelt- und Energiepolitik wird derzeit viel diskutiert. Die Ansichten der Bevölkerung widersprechen teilweise dem Kurs des Bundesrats.

    Klarer Auftrag an die Politik 
    Gegenläufig bis widersprüchlich sind die Aussagen zum Verhältnis von erneuerbarer Energieproduktion und Umwelt- beziehungsweise Landschaftsschutz. Die Aussage, dass die inländische Produktion erneuerbarer Energien zu steigern ist, auch wenn beim Umweltschutz deutliche Abstriche gemacht werden müssen, stimmen 67 Prozent der Stimmberechtigten zu. Gleichzeitig findet eine Mehrheit von 59 Prozent, dass die Energiewende nicht als Ausrede für die Verschandelung von unverbauten Naturflächen mit Windrädern, Stauseen und Solarzellen dienen darf. 

    Aus den Präferenzen der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gibt sich zusammenfassend ein klarer Auftrag an die Politik: Sie muss alles unternehmen, um eine sichere und bezahlbare Versorgung mit Strom und Energie sicherzustellen. Die Ergebnisse sind eine deutliche Absage an eine ideologisch motivierte Klima- und Energiepolitik, welche die technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten negiert. Die Bevölkerung erweist sich in vielem als reifer und realistischer als die Politiker in Bern: Sie will die inländische Produktion erneuerbarer Energien vorantreiben, aber nicht um jeden Preis. Der Klimaschutz muss sich der Versorgungssicherheit unterordnen. Und es soll keine Technologieverbote und zusätzlichen Abgaben geben. Das klingt doch alles sehr vernünftig, nicht?

    Dr. Philipp Gut

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